Nähe und Vertrauen
Nähe zuzulassen, das heisst für mich, zu vertrauen. Was mir nicht leicht fällt. Gegangen bin in den Beziehungen immer ich. Verlassen worden, alleine mit mir war ich meist schon lange davor.Wenn ich mich in der Gesellschaft umschaue, finde ich garantiert Menschen, die mich in meinen bisherigen Erfahrungen bestätigen: Zu vertrauen gilt als naiv und kindlich. "Sei doch mal vernünftig!" ist ein oft gehörter Anspruch. In Neusprech: "Du bist aber reflektiert". Vernünftig zu sein entlockt meinen inneren Kindern ein Gefühl von Traurigkeit. Vernunft ist kein Konzept für das verspielte Kind in mir, für das das Leben eine große Abenteuerwiese ist, die es zu entdecken gilt und auf der er sich jauchzend und quietschend vor Freude einen langen Abhang hinunterkullern lässt. Mit dem tiefen Urvertrauen, heil unten anzukommen, weil sein Körper es trägt.
"Blind" zu vertrauen gilt als kindlich und naiv, als unreflektiert und als fast schon unverantwortlich uns selbst gegenüber. "Wie kannst du so offen sein?", werde ich gefragt, wenn ich vertraue, ohne erst den schützenden, prüfenden Blick des eigenen Verstandes auf den Menschen zu werfen, der da vor mir steht. "Bist du es wert, dass ich dir vertraue?" fragt dieser Blick. Menschen miss-trauen, bevor sie ver-trauen und so wird Vertrauen zu etwas gemacht, was sich erst dem Checkup unseres ach so klugen Verstandes und unserer Erfahrungen unterwerfen muss, bevor es entsteht.
Menschen klagen sich oft genug selbst an, wenn Vertrauen schief geht. Wir verurteilen uns selbst, nicht genau genug hingeschaut, nicht lange genug gewartet und uns in uns selbst getäuscht zu haben. Wir verurteilen uns hart, zu naiv und vertrauensseelig gewesen zu sein. Die inneren Kritiker fordern uns auf, endlich mal aus unseren Fehlern zu lernen und "erwachsen" zu werden.
Erwachsen sein, das bedeutet, rational zu sein, ein funktionierendes Rädchen im Getriebe der Welt. Das Lachen und Juchzen der inneren Kinder stört da nur.
Mit dem Anspruch, sich erwachsen zu verhalten, wird Vertrauen zu einer unreifen Idee, einer naiven, kindlichen Träumerei.
Misstrauen wird zu einem Spiel, wer erwachsener, wer reifer, wer reflektierter, wer realistischer und wer lebenstüchtiger ist. Die Regel des Spiels ist, dass wir eine Angst reproduzieren, um die es nicht geht.
Natürlich kann ich morgen von einem Auto überfahren werden.
Ich kann an einem Schlaganfall sterben.
Mir kann ein Blumentopf auf den Kopf fallen.
Oder ich falle einfach tot um und betrachte die weinenden Menschen auf meiner Beerdigung von oben als Engel.
Wenn ich zu früh gehe, dann werden sie weinen. Sie werden sagen, es war so früh, zu früh ... sie hatte das Leben noch vor sich...
Leben? Welches Leben habt ihr euch für mich ausgedacht? Langhangeln an den Ansprüchen einer Gesellschaft? Leistung, jemand sein, einen Status haben, mein Haus, mein Auto, mein Boot... erste sein... ?
Mein inneres Kind kullert über den Hügel und schüttet sich aus vor Lachen, wenn es die Erwachsenen sieht, deren Gebote und Ängste und Verbote und Normen und Grenzen, an die sie glauben und die sie in ihren Gedanken und verinnerlicht haben, in klugen Sprüchen und wohlklingenden Normen auf die Welt spucken... Normen, Gedanken,Werte, Worte ... oft leere Worte ... die sie beschützen sollen.
Das Kind kullert über den Hügel und spürt unbändige Freude im Bauch. Gras auf der Haut, Sonne im Gesicht und den Wind im Rücken. Spürt das Kribbeln im Bauch ... um sich herum die laute Stille der Natur ... zirpende Grillen und Blätter-Rauschen .... eine beschützte, innere Welt ... schall-schirmende grüne Wände, undurchdringlich für die klugen Worte, Sprüche und Normen der "Großen"...
Das Kind spielt und schaut und lauscht ... lauscht mit der Seele, schaut, ob Augen gütig sind und warm ... lacht und schaut, wie weich ein Mund sein kann, wenn ein Lachen zurückfliesst, spürt, wie sanft Hände sind, die es berühren... So vertraut mein inneres Kind...